Inzidenaxiome

Inzidenzgeometrie

Ausgangspunkt sind zwei disjukte Mengen \( \bf{P} \) und \( \bf{G} \) aus. Die Elemente von \( \bf{P} \) werden als Punkte und die von \( \bf{G} \) als Geraden bezeichnet.

Punkte und Geraden stehen zueinander in einer Beziehung, die Inzidenz \(I\) genannt wird. Ein Punkt \(P\in\bf{P}\) inzidiert beispielsweise mit einer Geraden \(g\in\bf{G}\). Anschaulich bedeutet dies beispielsweise, dass \(P\) auf \(g\) liegt.

Der Punkte \(P\) und die Gerade \(g\) sind beweglich.

Formal lässt sich diese Beziehung durch \(P\in g\) ausdrücken, was nichts anderes bedeutet, als \(P\) ist Element von \(g\).

Zur Inzidenz \(I\) gehören eine Menge von Punkt-Geraden-Paaren \((P,g)\). Bei \(I\) handelt es sich um eine Relation zwischen \( \bf{P} \) und \( \bf{G} \) und es gilt \( I \subset \bf{P} \times \bf{G} \).

Im folgenden wird nun schrittweise ein Regelwerk aufgebaut, das als Grundlage aller weiteren geometrischen Überlegungen dient.

Axiome der Inzidenz

Axiom (A1)

Zu zwei verschiedenen Punkten gibt es genau eine Gerade, mit der die beiden Punkte inzidieren.

Anschaulich bedeutet dies aus Sicht der Schulgeometrie, dass durch zwei verschiedene Punkte genau eine Gerade verläuft.

Die Punkte \(P\) und \(Q\) sind beweglich.

Punkt \(P\) inzidiert mit Gerade \(g\) bedeutet auch, dass \(P\in g\) und analog \(Q \in g\) gilt. Die Punkte \(P\) und \(Q\) liegen auf der Geraden \(g\).

Axiom (A2)

Zu jeder Geraden gibt es (mindestens) zwei verschiedene Punkte, die mit ihr inzidieren.

Die Punkte \(P\) und \(Q\) sind beweglich.

Eine Gerade enthält mindestens zwei Punkte. Dies klingt zunächst vielleicht etwas befremdlich, da im Geometrieunterricht Geraden mit unendlich vielen Punkte betrachtet werden. Dennoch ist die Formulierung natürlich korrekt. Das Beispiel Tetraedermodell (siehe unten) zeigt jedoch die Sinnhafigkeit und den Vorteil dieser Formulierung.

Axiom (A3)

Es gibt (mindestens) drei Punkte, die nicht mit derselben Geraden inzidieren.

Die Punkte \(P\), \(Q\) und \(R\) sind beweglich.

Es gibt also drei Punkte, von denen einer nicht auf einer Geraden liegt.

Modell

Die drei Axiome (A1)(A3) bilden ein Modell (auch System) \(\{(A1), (A2), (A3)\}\), das als Grundlage für weitere Überlegungen dienen kann. Es sind die Spielregeln für eine Geometrie.

Wichtige Forderung an ein solches Axiomensystem sind die Widerspruchsfreiheit und die Unabhängigkeit.

Frage

Was bedeutet dies?

Beispiele

Standardmodell

In der Schulgeometrie kommt das Standardmodell der Elementargeometrie zum Einsatz. Hier gelten natürlich die Axiome (A1)(A3) und noch eine Reihe weiterer Axiome, die jedoch erst später berachtet werden sollen:

Die Punkte \(A\), \(B\) und \(C\) sind beweglich.

Die drei Mittelsenkrechten eines Dreiecks schneiden sich in genau einem Punkt, dem Mittelpunkt des Umkreises des Dreiecks.

Minimalmodell

Das kleinste Modell einer Geometrie besteht aus nur drei Punkten, die nicht alle auf einer Geaden liegen. Das fordert Axiom (A3). Die Puntke sollen hier \(A\), \(B\) und \(C\) heißen.

Aufgrund von Axiom (A1) muss es zu \(A\) und \(B\), zu \(A\) und \(C\) sowie zu \(B\) und \(C\) je eine Gerade geben, die mit diesen inzidieren. Bezeichnet werden die drei Geraden mit \(c\), \(b\) und \(a\).

Minimalmodell (statische Abbildung)

Das Axiom (A2) muss ebenfalls gelten. Dies ist hier der Fall. Mit der Geraden \(a\) inzidieren die Punkte \(B\) und \(C\), bei \(b\) sind dies die Punkte \(A\) und \(C\), und schließlich liegen die Punkte \(A\) und \(B\) liegen auf \(c\). Die Geraden bestehen in diesem Modell auch nur jeweils aus diesen zwei Punkten.

Hier gilt \(\bf{P}\)\(=\{A, B, C\}\) und \(\bf{G}\)\(=\{a, b, c\}\).

Tetraedermodell

Beim Tetraedermodell bedeuten:

  • Punkt: Tetraederecke
  • Gerade: Tetraederkante
  • inzidiert: liegt auf bzw. führt durch
Tetraedermodell (statische Abbildung)

Punkt \(C\) inzidert mit Gerade \(ac\) bedeutet demnach, die Tetraederecke \(C\) liegt auf der Tetraederkante \(ac\).

Beispiel für (A1):

Zu den Punkten \(B\) und \(C\) existiert die Gerade \(bc\), mit der die beiden Punkte inzidieren.

Die Tetraederecken \(B\) und \(C\) legen die Tetraederkante \(bc\) fest.

Beispiel für (A2):

Zur Geraden \(bd\) gibt es die zwei verschiedenen Punkte \(B\) und \(D\), die mit ihr inzidieren.

Die Tetraederecken \(B\) und \(C\) liegen auf der Tetraederkante \(bc\).

Beispiel für (A3):

Die drei Punkte \(A\), \(B\) und \(C\) inzidieren nicht alle drei mit der Geraden \(ab\) (oder \(ac\) oder \(bc\)).

Die drei Tetraederecken \(A\), \(B\) und \(C\) liegen nicht alle der Tetraederkante \(ab\) (oder \(ac\) oder \(bc\)).

Modell von Poincaré

Grundlage für das Modell von Poincaré bildet die obere Halbebene:

\( \bf{P} \) \(= \{P(x,y)\in\bf{R^2}\vert\) \( y>0\}\).

Alle Punkte besitzen darin positive \(x\)-Koordinaten. "Geraden" werden in diesem Modell als

  • Halbkreise mit Mittelpunkt auf der \(x\)-Achse bzw.
  • Halbgeraden senkrecht zur \(x\)-Achse

betrachtet.

Die Punkte \(A\), \(B\), \(C\) und \(D\) sind beweglich.

Gegenbeispiel

Als Modell dient eine Gerade \(g\) und alle auf ihr liegenden Punkte.

Warum ist dies ein Gegenbeispiel?

Satz 1

Zwei verschiedene Geraden inzidieren mit höchstens einem gemeinsamen Punkt.

Die Geraden \(g\), \(h\) und \(i\) sind beweglich. Die Rotation von \(g\) mittels erfolgt 2-Finger-Geste.

\(g\) und \(h\) inzidieren mit keinem gemeinsamen Punkt. Die beiden Geraden haben keinen gemeinsamen Schnittpunkt. \(g\) und \(i\) inzidieren mit Punkt \(P\). Die beiden Geraden haben den gemeinsamen Schnittpunkt \(P\). \(h\) und \(i\) inzidieren mit Punkt \(Q\). Die beiden Geraden haben den gemeinsamen Schnittpunkt \(Q\).

Beweis von Satz 1

Definition 1

Schnittpunkt

Inzidieren zwei Geraden mit genau einem gemeinsamen Punkt, so sagt man auch die beiden Geraden schneiden sich. Der gemeinsame Punkt wird als Schnittpunkt bezeichnet.

Die Geraden \(g\) und \(h\) sind beweglich. Die Rotation erfolgt mittels 2-Finger-Geste.

Die Geraden \(g\) und \(h\) inzidieren mit dem gemeinsamen Punkt \(P\), dem Schnittpunkt der beiden Geraden.

Allgemein

Die Inzidenzrelation \( I \) kann in den meisten Fällen durch das Zeichen \( \in \) ersetzt werden. Eine Gerade wird als Menge der mit ihr inzidierenden Punkte aufgefasst.